Kleiner Hase mit grossen Ohren

Es war einmal ein kleiner Hase, der hatte schrecklich grosse Ohren. Nun haben ja alle Hasen ziemlich grosse Ohren, aber dieser hier hatte die allergrössten, die man sich an einem Hasen überhaupt vorstellen kann. Er musste sich ordentlich anstrengen, wenn er sie aufrecht halten wollte. Meistens schlappten sie herunter und streiften den Boden.

Alle andern Hasen sahen ihn höhnisch an und lachte ihn aus. "Seht nur den komischen Kerl!" riefen sie. "Hat man jemals solche Ohren gesehen? Er sollte auf den Jahrmarkt gehen und sich ausstellen lassen. Da würden die Leute staunen."

Der kleine Hase schämte sich sehr. Er wagte sich kaum noch unter seinesgleichen. Weil er seine Ohren nicht verstecken konnte, versteckte er sich am Ende selbst, so oft und so gut es ging. An einem schönen Frühlingstag in der Osterzeit hockte der kleine Hase betrübt im dunklen Unterholz und traute sich nicht in den hellen Sonnenschein hinaus. Überall blühten Veilchen und Windröschen. Die Luft war erfüllt vom Zwitschern der Vögel. Als der kleine Hase schon lange Zeit so gesessen und betrübt hinausgeblickt hatte, sah er ein Kind näher kommen. Das ging ganz allein durch den Wald und weinte. Es war von zu Hause fortgelaufen, weil es glaubte, dass niemand es mehr lieb hätte. Das Kind war ein Mädchen und hiess Nina.

Nicht weit von der Stelle, wo der kleine Hase im Unterholz hockte, setzte sich Nina auf einen Stein und schluchzte.

Eine Weile hörte der kleine Hase zu. Dann verliess er sein Versteck und tippte das Mädchen mit einer Pfote an. "Warum weinst du denn?" fragte er. Nina blickte auf und war gar nicht besonders erschrocken. Sie fand, dass der kleine Hase sehr lieb aussah. "Ach", antwortete sie, "das ist eine lange Geschichte". "Erzähl sie mir!" antwortete der kleine Hase. "Ich will dir gern zuhören."

Nina zögerte nur einen Augenblick, dann fing sie an zu erzählen: "Alles begann damit, dass ich heute morgen beim Frühstück meine Kakaotasse umgestossen habe. Es gäbe einen grossen Fleck auf dem Tischtuch, und meine Mutter jammerte, nun hätte sie noch mehr Arbeit als sonst."

Nina schwieg und blickte den kleinen Hasen unsicher an. "Und dann?" fragte er. Da erzählte sie weiter: "Später in der Schule musste ich immer an meine arme Mutter denken und konnte nicht ordentlich aufpassen. Da schimpfte der Lehrer mit mir." Nina schwieg wieder. "Und dann?" fragte der kleine Hase. "Zu Hause beim Mittagessen erzählte ich, dass der Lehrer mit mir geschimpft hatte. Da wurde mein Vater böse und zankte mich aus."

Mit Tränen in den Augen sah Nina den kleinen Hasen abwartend an. "Erzähl nur weiter!" sagte er. "Sicher war das noch nicht alles."

Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort: "Ich war zornig und traurig, weil mein Vater mich ausgezankt hatte. Da bekam ich Streit mit meinem kleinen Bruder und nahm ihm seins liebstes Spielzeug weg. Er heulte, und als nachmittags unsere Grossmutter zu Besuch kam, erzählte er ihr, was ich getan hatte. Sonst liest sie uns beiden immer eine Geschichte vor, aber diesmal durfte nur mein Bruder zuhören. Ich wurde zur Strafe hinausgeschickt. Da bin ich fortgelaufen."

Der kleine Hase legte seine Pfote auf Ninas Hand und sprach: "Es gibt Tage, die fangen verkehrt an und gehen verkehrt weiter. Aber sie können ein gutes Ende nehmen. Geh nur nach Hause! Ich bin sicher, dass dort schon alle auf dich warten."

"Danke, dass du mir zugehört hast", sagte Nina und sah ihn aufmerksam an. "Du hast überhaupt wunderschöne Zuhör-Ohren. Ich kenne niemand, der so schöne Zuhör-Ohren hat wie du." Da lachte der kleine Hase und freute sich sehr. Als Nina sich getröstet auf den Heimweg gemacht hatte, kehrte er zu den anderen Hasen zurück und schämte sich nie mehr für seine Ohren. Er war jetzt stolz darauf, dass er etwas hatte, das ausser ihm niemand besass.

Quelle: http://www.kirchenweb.at/osterhase/ostern/ostermaerchen2.htm

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