Das Kaninchen überlistet den Farmer

An einem warmen Sommertag hackte ein Farmer sein Feld. Die Erbsensaat war gerade aufgegangen, und die Pflanzen waren nun gross genug, um behäufelt zu werden. Als der Farmer mit einer Furche zu Ende war, stellte er sich in den Schatten und wollte sich ausruhen. Da kam ein Kaninchen vorbei und fragte ihn, was er da auf dem Felde treibe.

Der Farmer antwortete:
"Ich habe das Erbsenfeld gehackt, damit ich etwas zu essen habe, wenn kaltes Wetter kommt."
"Wärest du wie ich", antwortete das Kaninchen, "so müsstest du dich nicht den ganzen Tag plagen, und es würde dir viel besser gehen."

Darauf sprang es vergnügt davon.

Einige Zeit später, als die Erbsen fast reif waren, kam das Kaninchen zum Feld zurück. Der Farmer war daheim in seinem Haus, und das Tier beschloss, ihm einen Streich zu spielen. Es schnitt alle Pflanzen ab und lief fort in den Wald. Als der Farmer auf das Feld kam, sah er, dass er um seine Ernte gebracht worden war, und vermutete gleich, dass ihm das Kaninchen diesen Streich gespielt hatte. Tags darauf traf er das Tier im Wald und stellte es deswegen zur Rede.

Das Kaninchen antwortete: "Mir war, als hättest du gesagt, ich solle die Erbsen haben, sobald sie reif geworden sind." Der Farmer wurde böse und drohte dem Kaninchen, er werde es töten.

Das Kaninchen sprach: "Gut, töte mich, aber es muss dir gelingen, mir den Kopf abzuhacken."

Der Farmer war einverstanden, und das Kaninchen riet ihm, eine Axt zu holen. Der Farmer dachte bei sich: "Jetzt werde ich mich an dem Kaninchen rächen. Ich werde so fest zuschlagen, dass der Kopf ab ist, und morgen gibt es Kaninchenbraten."

Als er mit der Axt zur Stelle war, legte das Kaninchen seinen Kopf auf einen Stein. Der Farmer hohe mächtig aus, liess die Axt niedersausen... aber im letzten Augenblick zog das Kaninchen seinen Kopf fort, die Axt traf nur den Stein, und die Schneide wurde stumpf davon. Voller Zorn wollte der Farmer nun seine Hunde auf das arme Kaninchen hetzen. Doch das Tier drohte, den Wald anzuzünden, falls der Farmer es auf dem festen Land töte. "Ich sehe ein", sagte es, "du musst deine Rache haben. Wie wäre es, wenn du mich ertränken würdest!"

"Schon recht", sprach der Farmer, fasste das Kaninchen bei den Ohren, steckte es in einen Korb, legte einen schweren Stein dazu und machte sich auf zur Küste. Lange Zeit musste der Farmer wandern. Endlich fragte ihn das Kaninchen, wie weit es denn noch sei, bis sie endlich die Küste erreicht hätten. "Ich kann die Küste schon sehen", antwortete der Farmer.

"Dann solltest du dich jetzt erst einmal ausruhen und einen Schluck Wasser trinken. Du.wirst doch gewiss durstig geworden sein auf dem langen Weg."

"O ja", sagte der Farmer, "jetzt, wo du mich daran erinnerst, merke ich erst, wie durstig ich unterwegs geworden bin."

Mit diesen Worten stellte er den Korb ab und lief zu einer nahe gelegenen Quelle, um sich zu erfrischen. Während der Farmer fort war, kam ein anderer Mann des Weges, der trieb Vieh vor sich her, und als er das Kaninchen entdeckte, fragte er es, warum es denn da in diesem Korb hocke.

"Ja", sagte das Kaninchen, "das hat schon seine Richtigkeit. Ich werde heimgetragen in das Zelt des Häuptlings, wo man mir dessen Tochter zur Frau gibt. Vorher aber darf mich niemand sehen, und deswegen sitze ich in diesem Korb."

Der Fremde war der Tochter des Häuptlings schon einmal begegnet und bewunderte sie sehr. So fragte er das Kaninchen, ob er nicht mit ihm den Platz tauschen dürfe.

"Gut", sagte das Kaninchen, "aber du musst wiederkommen. Einen Blick auf die Häuptlingstochter will ich dir schon gönnen. Kommst du nicht wieder, so gehören deine Rinder mir."

Der Fremde stieg also in den Korb, wurde zugedeckt, und kaum war das geschehen, so trieb das Kaninchen das Vieh des Fremden hinter einen grossen Busch.

Der Farmer kam von der Quelle zurück, nahm den Korb auf, trug ihn zum Ufer und warf ihn dort an einer Stelle, wo das Wasser recht tief war, ins Meer.

Zufrieden, dass es ihm nun endlich gelungen war, sich an dem Kaninchen zu rächen, trat er den Heimweg an. Er war noch nicht lange gegangen, da kam ihm das Kaninchen entgegen, das die Rinder vor sich hertrieb.

"Was hat denn das zu bedeuten?" fragte der Farmer verwundert und traute seinen Augen kaum. "Habe ich dich nicht eben ins Meer geworfen?"

"AlIerdings", sagte das Kaninchen, "aber wenn einer ertränkt werden solI, und er kommt davon, so beweist das doch wohl, dass er Glück hat. Was Wunder, dass ich danach auch noch zu diesen Rindern gekommen bin."

Der Farmer schüttelte den Kopf und dachte nach.

"Was meinst du", fragte er dann, "wenn ich ins Meer geworfen würde, hätte ich dann wohl auch so ein Glück wie du?"
"Bestimmt", antwortete das Kaninchen.

Der Farmer träumte von reichen Ernten und grossen Herden. Also kroch er in den Korb, auch ein Stein wurde noch dazu gelegt, und dann trug ihn das Kaninchen zum Meer. Von einer hohen Klippe warf es den Farmer ins Wasser und ging darauf vergnügt von dannen. "Ja", sagte es zu sich selbst, "wenn das Glück erst einmal anfängt, nimmt es kein Ende mehr!"

Quelle: Indianermärchen aus Nordamerika, Frederik Hetmann, Fischer Taschenbuch-Verlag

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